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Modalnotation

Faksimile eines Stückes in ModalnotationÜbersicht

Die sechs rhythmischen Modi:

Notation von Abweichungen:

Zum Weiterlesen

Übersicht

Für die Melodien der liturgischen Einstimmigkeit war es nicht notwendig gewesen, exakte Notenwerte zu definieren, die in genau festgelegten Längenverhältnissen zueinander standen (s. Neumen).

In der Mehrstimmigkeit der sogenannten Notre-dame-Epoche (ca. 1150-1250) entstanden jedoch Stücke, in denen zum Teil jede Stimme einen anderen Rhythmus vortrug. Um diese Stücke zu notieren, brauchte man eine Notation, die es den Sängern ermöglichte, die Tondauern der eigenen Stimme mit den Tondauern der anderen Stimmen in Übereinstimmung zu bringen. Diese Möglichkeit bietet die Modalnotation.

Ihr Name leitet sich von dem lateinischen Wort "modus" ab. Gemeint sind damit die sechs rhythmischen Modi (s.u.), die für jeden Abschnitt einer Stimme einen Grundrhythmus angeben. Dazu wurde keine völlig neue Schrift erfunden. Man benutzte die Zeichen der aus der Neumennotation entstandenen Quadratnotation, gab ihnen aber nun eine neudefinierte konkrete Bedeutung.

Was sich für die Neumennotation nur erschließen läßt - daß nämlich innerhalb einer Ligatur die letzte Note die wichtigste ist - ist bei der Übertragung dieser sechs Modi um so deutlicher erkennbar: Hier ist die letzte Note einer Ligatur entweder lang oder auf einer betonten Position oder beides. Ein Modus gilt immer nur für jeweils eine Stimme und auch oft nur für einen Abschnitt - er kann nach einem Zäsurzeichen, einem kleinen senkrechten Strich wechseln.

Den Komponisten dieser Zeit scheint es eher um die Entfaltung von Melodien oder um das Erlebnis der Zusammenklänge gegangen zu sein als um raffinierte Rhythmen: Jedes in Modalnotation notierte Musikstück besteht unweigerlich aus einer Folge von Dreier-Einheiten, die in einer modernen Ausgabe meist im 6/8-Takt übertragen werden. Das Schreiben von Synkopen ist in der Modalnotation unmöglich.

Die sechs rhythmischen Modi

Die sechs Grundrhythmen der Modalnotation ergeben sich aus der unterschiedlichen Kombination von Einzeltönen und Ligaturen (verbunden geschriebenen Notengruppen) aus zwei, drei oder vier Tönen.
Übersicht über die Ligaturenkombinationen und ihre ÜbertragungEin Abschnitt im 1. Modus beginnt mit einer Ligatur aus drei Tönen, gefolgt von beliebig vielen Ligaturen aus zwei Tönen. In der Übertragung ergibt sich daraus ein regelmäßiger Wechsel von Viertel-Achtel. Die letzte Note jeder Ligatur ist hier sowohl lang (Viertelnote gegenüber der Achtelnote) als auch auf betonter Zählzeit. Der Zäsurstrich wird in diesem Modus als Achtelpause übertragen.
Ein Abschnitt im 2. Modus beginnt mit beliebig vielen Ligaturen aus zwei Noten und wird abgeschlossen mit einer Ligatur aus drei Tönen. In der Übertragung ergibt sich daraus eine regelmäßige Folge von Achtel-Viertel. Die letzte Note jeder Ligatur ist hier zwar nicht auf betonter Zählzeit, jedoch zumindest lang (Viertelnote gegenüber der Achtelnote). Der Zäsurstrich wird hier als Viertelpause übertragen.
Ein Abschnitt im 3. Modus beginnt mit einer Einzelnote, der dann beliebig viele Ligaturen aus drei Tönen folgen. In der Übertragung ergibt sich daraus eine regelmäßige Folge von punktierter Viertel-Achtel-Viertel. Der jeweils letzte Ton einer Ligatur ist hier sowohl lang (punktierte Viertel gegenüber Viertel oder Achtel) als auch auf betonter Zählzeit. Der Zäsurstrich wird hier als punktierte Viertelpause übertragen.
Der 4. Modus kommt in der Praxis normalerweise nicht vor; er wird jedoch von den Musiktheoretikern um der Vollständigkeit des Systems willen dennoch aufgeführt. Hier erscheinen zuerst beliebig viele Ligaturen aus drei Tönen, denen zum Abschluß eine Einzelnote folgt. In der Übertragung ergeben sich daraus regelmäßige Folgen von Achtel-Viertel-punktierter Viertel. auch hier ist die letzte Note sowohl lang (punktierte Viertel gegenüber Viertel oder Achtel) als auch auf betonter Zählzeit. Der Zäsurstrich wird hier ebenfalls als punktierte Viertelpause übertragen.
Der 5. Modus besteht aus lauter langen Noten (in der Übertragung punktierten Vierteln). Die Notation dieses Modus ist unterschiedlich: Er kann wie hier in der Abbildung aus lauter Ligaturen aus drei Tönen bestehen, aber auch aus lauter Einzelnoten. Das Vorliegen des 5. Modus wird - unabhängig von der gewählten Notation - meist schon daran deutlich, daß vielen Noten in einer Stimme deutlich weniger in der anderen gegenüberstehen. werden Ligaturen verwendet, ist die letzte Note sowohl lang (auch wenn die anderen Noten genauso lang sind) als auch auf betonter Zählzeit. Der Zäsurstrich muß auch hier als punktierte Viertelpause übertragen werden.
Der 6. Modus beginnt mit einer Ligatur aus vier Tönen, denen beliebig viele Ligaturen aus drei Tönen folgen. In der Übertragung ergibt sich daraus eine regelmäßige Folge von Achtelnoten. Die jeweils letzte Note einer Ligatur ist hier zwar nicht länger als die anderen Noten, dafür jedoch immer auf der betonten Zählzeit. Der Zäsurstrich wird hier als Viertelpause (bzw. dessen Äquivalente) übertragen.

Notation von Abweichungen

Wären in der Modalnotation nur diese wenigen Rhythmen möglich gewesen, die sich durch die sechs Modi ergeben, so wäre die Musik dieser Zeit rhythmisch doch etwas monoton gewesen. Es gibt jedoch einige Ausnahmen zu den Regeln über die sechs Modi, die auch zu einem abweichenden Rhythmus führen können.

Tonwiederholungen können nicht als Ligatur geschrieben werden, deshalb muß bei einer Tonwiederholung der Schreiber das Ligaturensystem des gewählten Modus aufbrechen, auch wenn er keinen vom Grundrhythmus abweichenden Rhythmus schreiben will. Wer bei der Übertragung auf eine Kombination von Ligaturen trifft, die sich in keinen der sechs Modi einordnen läßt, sollte zunächst prüfen, ob an dieser Stelle vielleicht eine Tonwiederholung vorliegt. Ist das der Fall, muß überlegt werden, auf welchen Modus die restlichen Ligaturen hindeuten.

Die Plica (lateinisch "Falte") ist ein senkrechter Strich, der an eine Note oder an das Ende einer Ligatur angefügt wird. Sie ist möglicherweise aus der Liqueszenz der Neumen- und Quadratnotation entstanden. Wie diese bezeichnet sie einen Ton von geringerer Klangstärke - als "Anhängsel" an einen Ton, der meist auf betonter Zählzeit steht, erklingt die Plica immer auf unbetonter Zählzeit. Ihren wert bezieht sie von der vorhergehenden Note. Ihre Tonhöhe wird nur ungefähr angegeben, je nach Richtung des Strichs steht sie über oder unter der Hauptnote, normalerweise eine Sekunde darüber oder darunter. Folgt der Hauptnote ein Sprung auf die nächste reguläre Note, so kann die Plica eine beliebige Note zwischen der Hauptnote und der folgenden Note sein.

Zuweilen tauchen innerhalb eines Abschnittes Ligaturen auf, die nicht zum Schema des Modus passen, der innerhalb dieses Abschnittes vorherrscht - ohne daß eine Tonwiederholung als der Auslöser angesehen werden kann. Dies kann ein Hinweis auf entweder Fractio modi oder Extensio modi sein. Ersteres bedeutet, daß an dieser Stelle kürzere Notenwerte verwendet werden müssen, um diese Abweichung auszugleichen, letzteres, daß zu dem gleichen Zweck längere Notenwerte verwendet werden müssen. Als gelungen dürfte eine Übertragung einer solchen Stelle dann angesehen werden, wenn auch hier die letzte Note einer Ligatur entweder lang oder betont oder beides ist, und wenn der Grundcharakter des jeweiligen Modus auch an dieser Stelle soweit wie möglich erhalten bleibt. In den meisten Fällen entscheidet der Vergleich mit anderen Stimmen, ob Fractio modi oder Extensio modi angewandt werden muß, wenn also entweder bei der einen Lösung die fragliche Stimme zu lang oder bei der anderen Lösung zu kurz würde. Kann auch dies nicht weiterhelfen, etwa weil die andere Stimme die gleiche irreguläre Ligaturenkombination aufweist, so wird man wohl beide Lösungswege als legitim ansehen müssen.

Currentes sind rautenförmige Noten, die zu mehreren in einer absteigenden Linie an eine Einzelnote oder eine Ligatur angehängt werden. Diese Figur wurde aus dem Climacus der Neumen- und Quadratnotation entwickelt. Wie beim Climacus gehört hier die vorangehende Note zusammen mit den Currentes zu einer Ligatur. Wie diese Ligatur genau übertragen wird, hängt von dem Modus ab, in dem sie verwendet wird. Besteht sie aus insgesamt drei Noten, kann sie einfach anstelle einer regulären Dreier-Ligatur stehen. Ansonsten bedeutet sie normalerweise eine Beschleunigung der Notenwerte im jeweiligen Kontext, wobei die letzte Note die längste und die ersten Noten die kürzesten sein sollten.

Zum Weiterlesen:

Willi Apel:
Die Notation der polyphonen Musik 900-1600
4. Aufl., Wiesbaden, Verlag Breitkopf u. Härtel, 1989
ISBN 3-7651-0180-X

© November 2005 Karen Thöle