Priester mit zwei Diakonen bei der Messe. Miniatur aus der Handschrift "La Sainte Abbaye"
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Die mittelalterliche Messe

Inhalt:

Übersicht

Wer sich für mittelalterliche Musik - die ja zu einem großen Teil als geistliche Musik überliefert ist - und mittelalterliche Frömmigkeit interessiert, kommt um die mittelalterliche Messe nicht herum.
Die Messe hat das ganze Mittelalter hindurch in etwa die gleiche Form. Jedoch gibt es immer wieder Tendenzen, diese Form zu erweitern und später wieder zurechtzustutzen. Die verwendeten Texte und Melodien waren im Wesentlichen festgelegt, ebenso die Art und Trageweise der liturgischen Gewänder. Wegen ihrer Kostbarkeit sind viele dieser Gewänder bis heute in Museen und Domschatzkammern überliefert. Sie und die zahlreichen erhaltenen liturgischen Bücher geben uns eine gute Vorstellung davon, wie die mittelalterliche Messe aussah und sich anhörte.

Geschichte der Messe

Mit Beginn des Frühmittelalters bildeten sich feste Liturgieformen aus. Wahrscheinlich waren für die einzelnen Sonntage und Feste jeweils die Gebete, Gesänge und Lesungen festgelegt. Man unterscheidet mehrere regional unterschiedliche Liturgien: die römische, die im Frankenreich verwendete gallikanische, die in Spanien gebräuchliche mozarabische und die ambrosianische Liturgie aus Mailand.

Gegen Ende des 8. Jahrhunderts bat Kaiser Karl der Große Papst Hadrian um liturgische Bücher, um die Messe im Frankenreich an die römische Messe anzupassen. Er bekam Bücher für die sogenannten Stationsgottesdienste in Rom. Diese waren als Papstgottesdienste sicherlich aufwendiger, als für die meisten Kirchen im Frankenreich machbar war. Außerdem waren damit nicht alle Sonntage und Feste abgedeckt, so daß diese Form der Messe unter Zuhilfenahme älterer, wohl gallikanischer Bestandteile den fränkischen Bedürfnissen angepaßt wurde. Diese auf der römischen Liturgie beruhende Liturgie wird meist als "gregorianisch" bezeichnet.

Diese Liturgie bildete den Grundstock für die gesamte mittelalterliche Messe, sie wurde allerdings im Lauf der Jahrhunderte wiederholt erweitert und wieder zurechtgestutzt. Regionale Sonderformen konnten dabei noch lange erhalten bleiben.

Im 16. Jahrhundert führte das Tridentiner Konzil zu einer Reform der Liturgie. Für die gesungenen Teile war das Ergebnis eine deutlich überarbeitete Version der Melodien in einer für die gesamte katholische Kirche verbindlichen Druckausgabe. Diese Melodien, die den alten zumindest noch ähnelten, wurden im Laufe der Zeit, vor allem im 18. Jahrhundert, an vielen Kirchen durch "zeitgemäßere" Lieder ersetzt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war dann wieder der Druck aus dem 16. Jahrhundert verbindlich. Zeitgleich versuchten Mönche am Kloster Solesmes, Liturgie und Kirchengesang wieder zum mittelalterlichen Vorbild zurückzuführen. Das "Graduale" und später das "Graduale triplex" dieses Klosters machte im 20. Jahrhundert mittelalterliche Versionen der gesungenen Teile der Messe den Schola-Sängern wieder zugänglich. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ermöglichte das 2. Vaticanum es den katholischen Gemeinden, Gottesdienste außer in Latein auch in der Muttersprache abzuhalten. Diese verdrängte seither an den meisten Orten das Latein und damit auch die alten liturgischen Texte und Melodien fast völlig.

Aufbau der Messe

Die Grundform der mittelalterlichen Messe seit der Zeit Karls des Großen geht, wie gesagt, auf die päpstlichen Stationsgottesdienste zurück.

Aufbau:

Introitus Gesang zum Einzug, Form: Antiphon, Teil des Propriums Schola
Kyrie eleison Gesang, Teil des Ordinariums Schola, möglicherweise auch die Gemeinde
Gloria Gesang, Teil des Ordinariums Schola, möglicherweise auch die Gemeinde
Collecta Gebet Priester
Lesung aus den Propheten oder der Apostelgeschichte Lektor
Graduale, Alleluia Gesänge, Form: Responsorien, Teil des Propriums Schola
Evangelienlesung Lektor/Priester
Homilie Auslegung Priester
Offertorium Gesang, Form: Responsorium, Teil des Propriums, dabei Gabendarbringung durch die Gemeinde Schola
Oratio super oblata Gebet Priester
Präfatio "Hochgebet" Priester
Sanctus Gesang, Teil des Ordinariums Schola, möglicherweise auch die Gemeinde
"Te igitur" "Canon" Priester
Pater noster
Friedensgruß
Agnus dei Gesang während des Brotbrechens, Teil des Ordinariums Schola, möglicherweise auch die Gemeinde
Communio Gesang während der Kommunion, Form: Antiphon, Teil des Propriums Schola
Postcommunio Gebet Priester
Entlassung mit Segnung Priester

Quelle:
Arnold Angenendt:
Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900.
Stuttgart u.a. 1990 (3. Auflage), S. 248-249.

Liturgische Bücher

Ende des Alleluia, Beginn der Evangelienlesung aus dem Göttinger St.-Johannis-Missale, Stadtarchiv GöttingenZu Beginn des Mittelalters gab es für jede gottesdienstliche "Gattung" eigene liturgische Bücher:

Was zunächst auf einzelne Bücher aufgeteilt war, wurde zumindest im 11. Jahrhundert schon vereinzelt in einem Buch zusammengefaßt: So enthält das Echternacher Sakramentar und Antiphonar, entstanden ca. 1030, die Gebete und die gesungenen Teile der Messe. Allerdings noch nicht in ihrer Reihenfolge innerhalb der Liturgie, sondern erst alle gesungenen Propriumsstücke des jeweiligen Sonntags, dann alle Gebete des gleichen Sonntags. Im Laufe des Mittelalters wurden dann die Missale-Handschriften immer wichtiger, die für jeden Sonntag die Gebete, Lesungen und Gesänge enthalten.

Daneben gibt es noch weitere liturgischer Bücher, etwa:

Das Graduale

Das Graduale wird manchmal auch Antiphonale genannt, es enthält die von der Schola zu singenden Teile. Dies sind die Propriums-Stücke Introitus, Graduale, Alleluia, Offertorium und Communio, die zu einem ganz bestimmten Gottesdienst gehören, und meist an anderer Stelle auch die Ordinariums-Stücke Kyrie, Gloria, Sanctus und Agnus dei, die mit gleichem Text in jedem Gottesdienst wiederkehren.

Die Propriums-Stücke sind im Graduale meist nach ihrer Position im Kirchenjahr angeordnet: Zuerst kommen die Stücke für den Weihnachtsfestkreis, der mit dem ersten Advents-Sonntag beginnt und mit dem Sonntag nach Epiphanias (6. Januar) endet. Dann folgt mit dem ersten Fastensonntag der Osterfestkreis, der nach Trinitatis endet. Dann folgen die Messen "per annum", also "durch das Jahr", die der Reihe nach in die Zeit erst zwischen Weihnachts- und Osterfestkreis und dann zwischen dem Osterfestkreis und dem ersten Advent eingefügt werden. In einem weiteren Teil werden für jeden einzelnen Heiligenfesttag die Propriumsstücke aufgeführt, in ihrer Reihenfolge im Kalender. Die Texte sind fast ausnahmslos Bibeltexte.

Bei den Propriumsstücken werden zwei musikalische "Gattungen" unterschieden: Antiphon und Responsorium.

Bei der Antiphon wird zuerst von der ganzen Schola ein musikalisch "auskomponierter" Teil gesungen (die eigentliche Antiphon). Danach singen die zwei Hälften der ganzen Schola im Wechsel einen Psalm oder Verse daraus auf ein einfaches melodisches Modell (die sogenannten "Psalmtöne") Dann wiederholen alle den ersten Teil, die Antiphon. Zur Gruppe der Antiphonen gehören der Introitus und die Communio.

Beim Responsorium singt zunächst die ganze Schola einen musikalisch "durchkomponierten" Teil, das "Responsum". Danach singt ein Solist einen musikalisch "durchkomponierten" Vers, dann wiederholen alle den ersten Teil. Responsorien sind im allgemeinen deutlich schwieriger zu singen als Antiphonen. Zu den Responsorien gehören Graduale, Alleluia und Offertorium.

Eine der ältesten Graduale-Handschriften, in denen der ungefähre Melodieverlauf durch Neumen angegeben wird, stammt nach der Datierung durch die Herausgeber des Faksimiles aus dem 9. Jahrhundert aus dem Kloster St. Gallen: die Handschrift "Cantatorium".
Faksimile-Ausgabe:
Cantatorium de Saint-Gall; Paleographie musicale, collection fondee en 1889 par Andre Mocquereau. Publ. en fac-similes phototypiques par les Benedictins de Solesmes; Ser. 2: Monumentale; 2

Die Melodien der Messe sind normalerweise einstimmig. Jedoch gibt es ab dem 12. Jahrhundert vereinzelt zwei- und mehrstimmige Vertonungen von Propriumstexten, etwa im "Codex Calixtinus" und in den vier Handschriften des "Magnus liber organi". Allerdings sind nur Graduale- und Alleluia-Stücke mehrstimmig gesetzt, und von ihnen auch nur die Teile, die nach zeitgenössischen Beschreibungen von einem Solisten gesungen wurden - ein Anhaltspunkt dafür, daß auch die mehrstimmigen Teile mit Solisten besetzt wurden.

Wer sich mit der Materie weiter vertraut machen will, sollte sich das "Graduale romanum" besorgen. Die Mönche von Solesmes haben um 1900 versucht, eine "ursprünglichere" Liturgie als die zu der Zeit gebräuchliche zu rekonstruieren, und haben sich für die Rekonstruktion der Melodien dabei an möglichst alten Handschriften orientiert. Wer sich zusätzlich dazu mit den Neumenfassungen der Gesänge beschäftigen will, sollte nach dem "Graduale Triplex" Ausschau halten; dort sind zusätzlich zu der Fassung auf Notenlinien bei fast allen Stücken auch zwei frühmittelalterliche Neumen-Fassungen abgedruckt.

Beim Vergleich des "Graduale romanum" mit Handschriften bzw. Faksimiles gibt es eigentlich immer kleinere Unterschiede im Melodieverlauf, die Stücke sind aber fast immer eindeutig erkennbar.

Erweiterungen der Messe:
Die Sequenz

Je prächtiger die Messe sein sollte, desto länger wurde sie auch.

Schon relativ früh kam die Sequenz in die Messe. Notker Balbulus erklärt die Herkunft der Sequenz so: Man habe sich beim Alleluia die Melodie nicht merken können (das Alleluia hat auf dem letzten "-a" des Wortes "Alleluia" eine lang ausgezogene Melodie, den Jubilus). Darum hätte man der Melodie einen Text unterlegt. Tatsächlich gibt es einige Sequenzen, die melodisch an das zugehörige Alleluia erinnern. Andererseits gibt es auch genug Sequenzen, die viel zu lang sind, als daß sie die Textierung eines einzigen Alleluias sein könnten. Auch bei ihnen ist oft ein Alleluia vorangestellt, aber da wirkt es eher, als hätte man das Alleluia nachträglich in Anlehnung an den ersten Melodieteil erfunden.

Wegen der - behaupteten oder tatsächlichen - Herkunft aus dem Alleluia wird die Sequenz in der Messe nach dem Alleluia gesungen.

Die Form der Sequenz ist - vom Text her - strophisch; musikalisch ist sie normalerweise eine Reihung von Melodie-Paaren: Auf den ersten Melodie-Teil wird die erste Strophe gesungen, auf die Wiederholung dieses Melodieteiles die zweite. Es folgt ein neuer Melodie-Teil für die dritte Strophe, auf die Wiederholung dieses Melodie-Teiles wird die vierte Strophe gesungen, usw. Die vielleicht bekannteste Sequenz ist das "Dies irae" (die Buchstaben in der zweiten Spalte zeigen die Abwechslung und Wiederkehr der musikalischen Formteile an).

1. Strophe a Dies irae, dies illa
solvet saeclum in favilla,
teste David cum Sybilla.
Der Tag des Zorns, jener Tag
löst die Welt auf in Asche,
als Zeugen David und die Sybille.
2. Strophe a Quantus tremor est futurus,
quando iudex est venturus
cuncta stricte discussurus!
Wieviel Zittern wird sein,
wenn der Richter kommen wird,
um alles streng zu richten!
3. Strophe b Tuba mirum sparget sonum
per sepulcra regionum,
coget omnes ante thronum.
Die seltsame Trompete verbreitet den Klang
auf dem Gräberfeld,
sammelt alle vor dem Thron.
4. Strophe b Mors stupebit et natura,
cum resurget creatura
iudicanti responsura.
Der Tod wird staunen und die Natur,
wenn die Kreaturen wiederauferstehen,
um dem Richtenden zu antworten.
5. Strophe c Liber scriptum proferetur,
in quo totum continetur
unde mundus iudicetur.
Das geschriebene Buch wird vorgetragen,
in dem alles enthalten ist,
womit die Welt beurteilt wird.
6. Strophe c Iudex ergo cum censebit,
quicquid latet apparebit;
nil inultum remanebit.
Der Richter also wird wird dann entscheiden,
was auch verborgen war, das wird geöffnet werden;
nichts wird ungesühnt bleiben.
7. Strophe a Quid sum miser tunc dicturus,
quem patronum rogaturus,
cum vix iustus sit securus?
Was werde ich Elender dann sagen,
welchen Verteidiger werde ich fragen,
wenn kaum der Gerechte sicher sein mag?
8. Strophe a Rex tremendae maiestatis,
qui salvandos salvas gratis,
salva me, fons pietatis.
König von erschütternder Majestät,
der du die zu Rettenden kostenlos rettest,
rette mich, Quelle der Barmherzigkeit.
9. Strophe b Recordare, Iesu pie,
quod sum causa tuae viae,
ne me perdas illa die.
Gedenke, lieber Jesus,
daß ich der Grund deines (Leidens-)Weges bin,
daß du mich nicht an diesem Tage ruinierst.
10. Strophe b Quaerens me sedisti lassus,
redemisti crucem passus;
tantus labor non sit cassus.
Um mich zu bekommen, hast du dich ermüdet,
du hast als Leidender das Kreuz abgewendet;
solche Mühe soll nicht vergeblich sein.
11. Strophe c Iuste iudex ultionis,
donum fac remissionis
ante diem rationis.
Gerechter Richter der Rache,
mach das Geschenk der Vergebung
vor dem Tag der Abrechnung.
12. Strophe c Ingemisco tamquam reo,
culpa rubet vultus meus;
supplicanti parce, Deus.
Ich seufze wie ein Angeklagter,
die Schuld rötet mein Gesicht;
den Bittenden verschone, Gott.
13. Strophe a Qui Mariam absolvisti
et latronem exaudisti,
mihi quoque spem dedisti.
Der du Maria erlöst hast
und den Räuber erhört hast,
du hast auch mir Hoffnung gegeben.
14. Strophe a Preces meae non sunt dignae,
sed tu, bonus, fac benigne
ne perenni cremer igne.
Meine Gebete sind nicht würdig,
aber du, Guter, handle gütig,
damit ich nicht im ewigen Feuer verbrannt werde.
15. Strophe b Inter oves locum praesta
et ab haedis me sequestra,
statuens in parte dextra.
Unter den Schafen steh mir bei
und sondere mich von den Böcken ab,
damit ich auf der rechten Seite stehe.
16. Strophe b Confutatis maledictis,
flammis acribus addictis,
voca me cum benedictis.
Nachdem die Übeltäter widerlegt wurden,
und den stechenden Flammen zugesprochen wurden,
rufe mich mit den Gesegneten.
17.Strophe c Oro supplex et acclinis,
cor contritum quasi cinis,
gere curam mei finis.
Ich bete kniefällig und gebeugt,
das Herz zerrieben wie Asche,
richte du meine Sorge auf das Ende.

Meß-Tropen

Ein Tropus ist eine textliche und musikalische Erweiterung. Fast alle Teile der Messe können tropiert werden. Ein schönes Beispiel hierfür findet sich im "Codex Calixtinus". Dieses Buch wurde im 12. Jahrhundert für den Gottesdienst in Santiago de Compostela angefertigt, wo, ist nicht ganz klar. Es enthält eine Vita des heiligen Jacobus, eine Aufzählung seiner Wundertaten, einen Pilgerführer und eine Art lateinischem Heldenepos über die Taten Karls des Großen in Spanien - aber vor allem auch eine ausführliche Liturgie für die Stundengebete und Messen Festtag des heiligen Jacobus.

Die Melodien für die Hauptmesse am Festtag des Jacobus befinden sich darin auf Folio 118r-122r. Der Introitus, zwei Alleluias, das Graduale, das Offertorium und die Communio entsprechen in Länge und Stil üblichen gregorianischen Propriumsstücken. Als schon selbstverständliche Erweiterung folgt nach dem zweiten Alleluia eine längere Sequenz.

Einige Seiten weiter, auf Folio 133r-139r, befindet sich unter der Überschrift "Farsa Officii Misse S. Jacobi" eine ausladend tropierte Version der vorher notierten Messe. Fast alle Stücke sind mit einem Tropus versehen: Dem Introitus vorangestellt sind mehrere von verschiedenen Sängern zu singende Abschnitte, der Introitus wird mehrmals für weitere Tropus-Abschnitte unterbrochen. Das Kyrie ist tropiert, ebenso das Gloria. Besonders außerordentlich ist, daß sogar die gesungene Epistel-Lesung mit Kommentaren tropiert ist, die ein anderer Sänger singt. Außerdem sind noch Sanctus und Agnus dei tropiert.

Ausgabe:
Peter Wagner:
Die Gesänge der Jakobusliturgie zu Santiago de Compostela aus dem sog. Codex Calixtinus.
Freiburg 1931.

> Tropiertes Kyrie Rex immense pater pie: Erläuterung und Noten

Beginn des untropierten Introitus "Resurrexi" aus dem Codex GisleEin Tropus kann den ursprünglichen Text ausschmücken und kommentieren und manchmal sogar mit einer neuen Bedeutung versehen. Ein Beispiel hierfür ist der Tropus zum Introitus "Resurrexi, et adhuc tecum sum".

Der Text dieses Introitus stammt aus dem alten Testament (Psalm 139, nach alter Zählung Psalm 138). In ihm geht es sinngemäß darum, daß der Gläubige schon morgens nach dem Aufstehen mit seinen Gedanken bei Gott ist ("Resurrexi, et adhuc tecum sum"). Er fühlt sich von Gott beschützt und sieht die Schöpfung wohlgeordnet.

Seinen Platz im Kirchenjahr hat der Introitus allerdings am Ostersonntag. Schon von daher liegt die Verbindung zu Christi Auferstehung nahe. Der Text des Tropus bezieht denn auch den Text eindeutig auf Christus.

Das Zusammenwirken von urspünglichem Introitus-Text und Tropus zeigt der vollständige Text des tropierten Introitus. Der Übersichtlichkeit wegen stehen die hinzugefügten Tropierungen mit neuer Melodie in Klammern, der ursprüngliche Text Introitus mit der ursprünglichen Melodie nicht in Klammern und fett:

(Christus hodie surrexit a mortuis et patrem conlaudans ait:) Resurrexi et adhuc tecum sum, Alleluia. (Christus ist heute auferstanden von den Toten, und, den Vater mitlobend, sagt er:) Ich bin auferstanden und ich bin schon bei dir, Alleluia.
(Destructo mortis imperio) posuisti super me manum tuam, Alleluia. (Nachdem das Reich des Todes zerstört wurde,) hast du über mich deine Hand gehalten, Alleluia.
(Quoniam mors mea facta est mundi vita,) mirabilis facta est scientia tua, alleluia, alleluia. (Denn mein Tod hat der Welt das Leben erschaffen,) wunderbar gemacht ist deine Weisheit, Alleluia, Alleluia.

Dieser und eine ganze Reihe weiterer Tropen stehen in folgendem Buch:

Introitus-Tropen I. Das Repertoire der südfranzösischen Tropare des 10. und 11. Jahrhunderts. Herausgegeben von Günther Weiß. (Monumenta monodica medii aevi, Bd. 3.) Kassel u.a. 1970.

Liturgische Gewänder des Priesters

Im Lexikon des Mittelalters finden sich zu den liturgischen Gewändern im Artikel "Kleidung, II: Liturgischer Bereich" folgende Informationen:

Detailliertere Informationen zu den liturgischen Gewändern im Mittelalter finden sich in den folgenden Bänden. Sie sind zwar schon alt, meiner Meinung nach aber noch nicht veraltet, da sich in ihnen vor allem auch Hinweise auf Quellen finden.

Fr. Bock:
Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert.
Bonn, 1859-1871, in drei Bänden.

Der erste Band beschäftigt sich überwiegend mit den verwendeten Seidenstoffen und mit den Stickereien, der zweite Band mit den Formen der einzelnen Gewand-"Gattungen", und der dritte Band mit Textilien, die in den Kirchenraum gehören.

Naturgemäß hat ein Buch dieses Alters keine fotographischen Abbildungen. Allerdings sind die zahlreichen farbigen oder schwarzweißen Druckgrafiken mit großer Sorgfalt hergestellt, auch wenn die Abbildungen der Seiden-Musterungen manchmal zugegebenermaßen eher an Tapeten der 1950er Jahre erinnern.

Der Autor hat eine große Quellenkenntnis. Er beschreibt unzählige Gewänder, die er in den verschiedenen Kirchenschätzen selbst angeschaut hat, bringt daneben auch Vergleiche aus der Buchmalerei sowie Schriftquellen. Das macht das Buch zu einer wertvollen "Einstiegslektüre", denn wenn auch Einzelheiten heute sicherlich überholt sind, so sind doch die präsentierten Quellen und das Gesamtbild sicherlich nicht allzu falsch.

Die Kleidung des Priesters bei der Messe besteht - zumindest im Hoch- und Spätmittelalter - aus folgenden Bestandteilen (von der untersten zur obersten Schicht):
Amikt bzw. Humerale, Albe, Cingulum, Stola, Manipel, Kasel.

Das Amikt bzw. Humerale ist ein Rechteck aus Leinen, es kann bei einem kostbaren Ornat aber auch aus Seide sein. Es wird über die Schultern gelegt und hat an den Ecken Bändchen, die um den Oberkörper gewickelt und vorne zusammengebunden werden. Ein Teil des Amikt soll am Hals wie ein Kragen sichtbar bleiben. Dieser obere, sichtbare Rand ist z.T. bestickt. Die Befestigung dieses Tuchs ist nicht einfach zu erklären, aber Bock hat eine Abbildung dazu.

Die Albe entwickelte sich aus der antiken Tunika. Der Name kommt von der weißen Farbe des Leinenstoffes, aus dem die Albe typischerweise hergestellt wurde (lateinisch alba=weiß). Sie kann in Ausnahmefällen aber auch aus Seide sein. Seit dem 10. und 11. Jahrhundert ist bei bischöflichen Alben oft der ganze untere Saum bestickt. Priesterliche Alben können ab dem 12. und 13. Jahrhundert vorne und hinten je ein verziertes Rechteck haben.

Das Cingulum ist ein Gürtel. Im Mittelalter wurde er nicht aus einer Kordel gefertigt, sondern aus Leinenstreifen oder Borten, in weiß oder in den liturgischen Farben. Es hatte entweder Fransenabschlüsse an beiden Enden und wurde dann mit Schnüren, die daran befestigt waren, zusammengebunden. Es konnte aber auch wie ein normaler Gürtel, mit einer Schnalle geschlossen werden.

Die Stola ist eine Art Schal. Sie besteht oft aus dem gleichen Stoff wie die Kasel, der mit Leinen hinterlegt sein konnte. häufig war sie bestickt, vor allem an den Enden, die unter der Kasel sichtbar blieben. Der Priester trug sie vorne gekreuzt.

Das Manipel soll von einer Art Schweißtuch abstammen, das man in der Antike benutzte. Dieses wurde im Laufe der Zeit schmaler, bis nur noch ein Streifen Stoff übrigblieb. Auf Abbildungen ähneln sie den Stolen aus der gleichen Zeit. Manipel wurden auf dem linken Handgelenk hängend getragen, und, damit sie nicht verrutschten, anscheinend an der Kasel mit Schnüren befestigt.

Kaselreuz des späten 15. Jahrhunderts, sekundär verwendet auf einer Kasel des 17. JahrhundertsDie Form der Kasel ist im Mittelalter glockenförmig und entspricht etwa einem vorne zusammengenähten Halbkreismantel. Da es schwierig sein kann, unter diesen Stoffmengen die Hände hervorzubekommen, wurde sie allerdings schon im 15. Jahrhundert an den Seiten verkürzt. Als Obergewand ist sie das Sichtbarste der priesterlichen Kleidungsstücke und daher am meisten verziert. Deshalb besteht sie oft aus kostbaren, gemusterten Seidenstoffen oder ist ausufernd bestickt. Bei Bock, Geschichte der liturgischen Gewänder Bd. 2 S. 249 finden sich aber auch Hinweise auf andere Materialien: Aus dem 13. und 14. Jahrhundert haben sich Kaseln aus Wolle erhalten, auch Kaseln aus Leinen mit Modeldruck beschreibt er. Aus dem 14. Jahrhundert stammen sogenannte "Pestkaseln" aus weißem Leinen, mit roten, aufgenähten Streifen, dem "Kaselkreuz". Angeblich hat man sie während der Pestzeit für Krankenbesuche benutzt, da man sie nach Gebrauch leichter waschen konnte als die Prunkversionen.
Das sogenannte "Kaselkreuz" gab es nicht von Anfang an. Im 9.-11. Jahrhundert gab es an Kaseln eine Borte am Halsausschnitt. Dazu kam dann eine Borte an der vorderen und hinteren Naht der als aus zwei Viertelkreisen zusammengesetzt zu denkenden Kasel. Das eigentliche Kaselkreuz entsteht dadurch, daß zusätzlich eine weitere Borte knapp unterhalb der Schultern um den Oberkörper herumläuft. Es ahmt möglicherweise das erzbischöfliche Pallium nach. An reicheren Messgewändern des XIII. und XIV. Jahrhunderts findet es sich fast durchgängig. Meist ist es besonders kunstvoll bestickt, im 15. Jahrhundert findet man auf diesen Kaselkreuzen oft wunderschöne Nadelmalerei-Stickereien mit der Kreuzigungsszene.

Abbildungsverzeichnis

Die Abbildungen 1, 3 und 4 wurden dem Katalog zur Ausstellung "Krone und Schleier" entnommen, sie finden sich dort - in dieser Reihenfolge - auf den Seiten 40, 142 und 391.

Zum Weiterlesen:

Arnold Angenendt:
Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900).
Stuttgart u.a. 1990 (3. Auflage), bes. S. 248-249.

Cantatorium de Saint-Gall; Paleographie musicale, collection fondee en 1889 par Andre Mocquereau. Publ. en fac-similes phototypiques par les Benedictins de Solesmes; Ser. 2: Monumentale; 2

Peter Wagner:
Die Gesänge der Jakobusliturgie zu Santiago de Compostela aus dem sog. Codex Calixtinus.
Freiburg 1931.

Günther Weiß (Hrsg.):
Introitus-Tropen I. Das Repertoire der südfranzösischen Tropare des 10. und 11. Jahrhunderts
Reihe: Monumenta monodica medii aevi, Bd. 3.
Kassel u.a. 1970.

Fr. Bock:
Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert.
Bonn, 1859-1871, in drei Bänden.

© November 2005 Karen Thöle