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Vom Wissen in den Bibliotheken...
Die mittelalterlichen Quellen

Schriftquellen:

Musikhandschriften
Bildquellen
Sachquellen

Die Fächer:

Unser Wissen über das Mittelalter gleicht einem Puzzle, bei dem die einzelnen Puzzleteile auf verschiedene Bibliotheken, Archive und Museen verteilt sind. Dabei ist es oft vom Zufall abhängig, welche Teile sich bis heute erhalten haben und welche für immer verloren sind: Nicht jedes Material ist gleichermaßen geeignet, die Zeiten zu überstehen. Jedes universitäre Fach, das sich mit dem Mittelalter beschäftigt, arbeitet jeweils an seinem eigenen Teil des Puzzles. Auch die Ergebnisse dieser Arbeiten sind wiederum verstreut in die verschiedenen Fachbibliotheken.

Schriftquellen:

Im Mittelalter wurde gewöhnlich auf Pergament geschrieben, erst im Spätmittelater setzte sich daneben auch Papier als Beschreibstoff durch. Pergament ist ein außerordentlich haltbares Material. Es ist wesentlich teurer als etwa Papier. Deshalb wählte man bewußt aus, was es wert war, aufgeschrieben zu werden.

Dennoch ist von dem, was aufgeschrieben wurde, nicht alles erhalten. Wurde ein Buch nicht mehr benötigt, zerlegte man es oft und verwendete es für die Einbände neuer Bücher. Die bei Buchrestaurierungen gefundenen Fragmente vermitteln eine Vorstellung davon, was uns alles verlorengegangen ist.

Die vorgestellten Textgattungen sind sicher nicht vollständig. Sie sollen als Beispiele dienen, welche Arten von Informationen man in mittelalterlichen Büchern finden kann.

Chroniken und Annalen

Die Schreiber des Mittelalters hatten ihre eigene Sicht auf ihre eigene Geschichte. Meist inszenierten sie sie in Chroniken als Teil der christlichen Heilsgeschichte. Bei weit zurückliegenden Ereignissen verließen sie sich oft auf Erzähltraditionen, bei neueren Ereignissen ist die Zuverlässigkeit höher. In Annalen trugen sie Jahr für Jahr jeweils die wichtigsten Ereignisse ein. Beide Quellenarten berichten über das Außergewöhnliche und lassen auf das alltägliche Leben nur dann und wann, gewissermaßen in Nebensätzen, Rückschlüsse zu.

Urkunden

Im Mittelalter wurden noch viele Übereinkünfte als mündliche Abmachungen getroffen. Symbolische Gesten und die Anwesenheit von Zeugen reichten aus, damit der Rechtsakt verbindlich war. Die Urkunde war ursprünglich nur eine nachträgliche Bestätigung, daß der Rechtsakt stattgefunden hatte.

Urkunden legen Zeugnis ab von Gebietsverkäufen und -schenkungen, aber auch von Privilegien, etwa für Städte, oder von Klostergründungen. Kam es zu einem Rechtsstreit, wurden Urkunden häufig gefälscht. Nicht immer muß man hierbei eine böse Absicht vermuten. In manchen Fällen hat man wohl nur das in einer neuangefertigten Urkunde festgehalten, was man schon seit Jahrzehnten als Eigentum betrachtete. Der "Fälscher" ging dann wohl davon aus, daß in der Vergangenheit eine mündliche Abmachung stattgefunden haben muß, aber eben ohne Urkunde, ein Zustand, den es zu berichtigen galt.

Gesetze

Gesetze wurden im Mittelalter nicht "auf Vorrat" geschrieben. Landrechts-Texte sammeln und fixieren das Gewohnheistrecht, das so wohl schon länger praktiziert wurde. Spätmittelalterliche städtische Verordnungen sind vor allem als Reaktionen auf Schwierigkeiten im alltäglichen Umgang miteinander zu verstehen.

Ob sie so auch umgesetzt wurden, ist nicht klar. Vieles wurde von den Betroffenen wohl schon untereinander ausgemacht, bevor es vor ein Gericht gelangte. Städtische Verordnungen, etwa Kleiderordnungen, wurden zum Teil im Jahresabstand mit stetig steigenden Strafandrohungen wiederholt - ein Zeichen dafür, daß sie nicht ausreichend ernst genommen wurden.

Heiligenviten

Wie die Lebensbeschreibung eines Heiligen auszusehen hatte, war bis zu einem gewissen Grad formalisiert. Teilweise wurde ein solcher Text auch benutzt, um aktuelle Probleme anzugehen: Da wurde eine Klostergründerin als strenge Asketin dargestellt, um den verwöhnten Nonnen ihres Klosters als gutes Vorbild zu dienen. Da traten Heilige posthum miteinander in Konkurrenz, weil ihre Biographen ihre Reliquien als wundertätiger als die im Nachbarort propagieren wollten.

Wenn eine Vita jedoch von einem Zeitgenossen des Heiligen geschrieben wurde, stehen die Chancen gut, daß die historischen Gegebenheiten einigermaßen zuverlässig dargestellt wurden. Und in den Wundererzählungen läßt sich erkennen, welche Probleme die Menschen des Mittelalters plagten - so sehr plagten, daß sie sich damit an einen Heiligen wandten.

Liturgische Bücher

Liturgischer Bücher dienen dazu, kirchliche Handlungen durchzuführen. Sie lassen sich aber nicht nur dazu nutzen, etwa eine Messe zu einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit zu rekonstruieren. Sie überliefern auch geistliche Melodien. Sie zeigen, für welche Anlässe zum Zeitpunkt ihrer Entstehung besondere Gebete oder Prozessionsordnungen nötig waren. Und anhand der Verbreitung der Feste von eher unbekannten Heiligen läßt sich zeigen, welche Orte in freundschaftlicher Beziehung zueinander standen.

Traktate

Ein Traktat könnte man als Lehrwerk bezeichnen. Traktate können ganz unterschiedliche Themen behandeln. So gibt es beispielsweise religiöse Traktate, Traktate zu unterschiedlichen musikalischen Fragen wie auch Traktate zu bestimmten handwerklichen Techniken. Je nach Inhalt sind es ganz unterschiedliche Fächer, die sich für Traktate interessieren.

Höfische Dichtung

Die Handlung der höfischen Romane und Epen ist größtenteils fiktiv, auch wenn teilweise historische Personen darin vorkommen. Geschildert wird meist ein idealisierter Adelshof, mit Kleidung, die prächtiger, und Personen, die edler und mutiger sind als in der normalen Wirklichkeit. Hinter dieser literarischen Übersteigerung läßt sich trotzdem ein Blick auf die Vorstellungswelt mittelalterlicher Erzähler und Zuhörer erhaschen.

Ähnlich ist es mit den Kleinerzälungen, den Mären und Fabeln, die teilweise verblüffende Ähnlichkeit mit den noch heute bekannten Märchen haben. Auch hier findet man die Realität eher in den Nebensätzen als in den Pointen. Aber hier sieht man auch die "einfachen Leute", nicht nur den Adel.

Im Minnesang geht es - der Name sagt es - um Minne, um die Liebe. Die Realität scheint in den Träumen von der geliebten Frau nur selten auf. Anders ist es bei der Sangspruchdichtung: Hier geht es neben moralischen Themen auch um Politik.

Musikhandschriften

Auch wenn es viele nicht wissen: Aus dem Mittelalter ist Musik überliefert. Dabei hat sich die Notation mehrfach verändert und den Bedürfnissen der Musiker angepaßt (siehe Notation).

Zunächst sind es die einstimmigen Melodien für die Messe (Gregorianik), die aufgeschrieben werden. Später notiert man auch geistliche Mehrstimmigkeit und - zumindest im französischen Sprachraum - auch weltliche einstimmige Lieder. Im Spätmittelalter werden dann auch weltliche Texte mehrstimmig vertont. Aufzeichnungen von Instrumentalmusik sind selten. Wie es scheint, hat es allerdings Wechselbeziehungen zwischen vokaler und instrumentaler Musik gegeben.

Bildquellen

Mittelalterliche Bilder sind vor allem Buchmalereien. Wandmalerei gibt es zwar auch, die ist aber selten und oft nicht gut erhalten, und selbständige Gemälde werden erst im Spätmittelalter häufig. Bei der Interpretation ist zu berücksichtigen, daß selbst die scheinbar so realistischen Malereien des 15. Jahrhunderts auch symbolische Elemente beeinhalten. In früheren Jahrhunderten verhinderte das kleine Format der Buchmalereien eine allzu genaue Darstellung. Konventionen bestimmten unter anderem, daß die wichtigste Person stets als größte gezeichnet wurde, und welche Kleidung biblische Personen und Heilige zu tragen hatten.

Andererseits versuchte man auch über die Bilder, den Lesern die Heilsgeschichte nahezubringen, und darum bildete man auch die Figuren der Bibel in der aktuellen Mode ab. Und so kann man gerade bei den "Nebenfiguren" der Bibelmalerei Kleidungsstücke und Werkzeuge der jeweiligen Zeit finden.

Sachquellen

Was man über die Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs im Mittelalter weiß, verdankt man im Wesentlichen den archäologischen Funden. Im Frühmittelalter sind dies vor allem Grabbeigaben, im Hoch- und Spätmittelalter dann fast ausschließlich verlorengegangene oder im Müll gelandete Dinge. Dabei sind manche Materialien besser dokumentiert als andere. Textilien, insbesondere aus Leinen, aber auch Holzgegenstände brauchen ungewöhnlich gute Bodenbedingungen, damit sie erhalten bleiben. Dennoch sind aus etlichen Städten Holzgegenstände und Stoffreste erhalten. Lederfunde sind sogar relativ häufig. Zu den Gegenständen, die die Jahrhunderte im Erdreich am besten überstehen, gehören solche aus Bronze oder Messing und besonders Keramik.

Besonders kostbare Gegenstände sind auch im Mittelalter nicht weggeworfen, sondern aufbewahrt worden. Dazu gehören vor allem liturgische Gewänder aus kostbaren Stoffen, allerdings auch einige unscheinbarere Dinge, die als Reliquien eines Heiligen besondere Aufmerksamkeit genossen. Solche Dinge werden heute vor allem in Domschätzen ausgestellt.

Aus dem späten Mittelalter sind auch noch einige Gebäude erhalten - nicht bloß Kirchen, sondern auch Wohnhäuser. In den meisten Fällen sind sie allerdings immer wieder umgebaut worden, so daß selbst Experten sie nicht immer als alt erkennen. In solchen Fällen kommt das wahre Alter manchmal erst nach dem Abriss mit Hilfe der Dendrochronologie (Bestimmung des Alters von Holz anhand des Vergleichs von Jahresringmustern) ans Licht.

Die Fächer:

Geschichte

Die Geschichte ist das erste Fach, an das man beim Thema Mittelalter denkt. Inzwischen hat sich das Fach in verschiedene Richtungen aufgespalten; zur altbekannten politischen Geschichte kommen zum Beispiel noch die Mentalitätsgeschichte, die Alltagsgeschichte, die Geschlechtergeschichte. Entsprechend vielfältig sind auch die Quellen, mit denen sich die Historiker beschäftigen. Waren es früher in erster Linie die Chroniken, Annalen, Urkunden und Gesetzestexte, so werden heute in zunehmendem Maße auch andere Quellengattungen befragt.

Dabei werden "typisch historische" Fragestellungen allerdings beibehalten: So interessiert sich der Historiker nicht dafür, wie ein bestimmter Krug ausgesehen, ein bestimmtes Instrument geklungen hat, sondern nur dafür, ob sich daran etwa Handelsbeziehungen oder Statusunterschiede ablesen lassen.

Literaturwissenschaft

Die höfische Dichtung ist die ureigene Domäne der Literaturwissenschaft, aber auch sie hat die anderen Quellen entdeckt. Nur sehr wenige Literaturwissenschaftler interessieren sich dafür, was die Texte mit dem wirklichen Leben im Mittelalter zu tun haben. Die typischen Themen der Literaturwissenschaft sind andere: wie eine Geschichte aufgebaut ist, oder wie die Zusammenhänge zu anderen Texten sind.

Musikwissenschaft

Die Musikwissenschaft konzentriert sich bei der Musik des Mittelalters in weiten Teilen immer noch darauf, die Musikstücke in moderne Notenschrift zu übertragen und formal zu analysieren.

Einige wenige Musikwissenschaftler beschäftigen sich mit der musikalischen Aufführungspraxis des Mittelalters. Sie werten auch Bildquellen, Dichtungen, Gesetze oder Chroniken aus, um mehr darüber herauszufinden, wie beispielsweise Musikinstrumente aussahen, oder welche typischen Instrumentenbesetzungen in bestimmten Situationen eingesetzt wurden.

Ur- und Frühgeschichte

An den meisten Universitäten ist die Mittelalterarchäologie in der Ur- und Frühgeschichte angesiedelt. Typischerweise beschäftigt sie sich mit archäologischen Funden, die sie datiert und beschreibt, aber auch mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht. Neben die Keramikscherbe oder die Gürtelschnalle treten dabei auch die Funde von menschlichen Skeletten, die Aufschluß über gesundheitliche Bedingungen geben, und die Pflanzenpollen, an denen sich Klima und Speiseplan in der Vergangenheit ablesen lassen.

Inzwischen wird aber auch vom Archäologen gefordert, daß er seine Funde nicht nur beschreibt, sondern auch interpretiert. Dazu muß er in den meisten Fällen auch Schrift- oder Bildquellen heranziehen, in denen die entsprechenden Gegenstände oder handwerklichen Tätigkeiten beschrieben oder abgebildet sind.

Theologie, Jura, Medizin

Andere Fächer beschäftigen sich mit ihrer eigenen Geschichte. Die Theologie befaßt sich auch mit Kirchen- und Liturgiegeschichte. Angehende Juristen müssen sich mit Rechtsgeschichte beschäftigen und etwa den Sachsenspiegel lesen. Mediziner lernen auch etwas über Medizingeschichte. An dieser Stelle sei vermerkt, daß auch bei so mancher Handwerksausbildung die entsprechenden historischen Handwerkstechniken zumindest gestreift werden.

Die Geschichte hat in diesen Fächern allerdings keinen hohen Stellenwert, werden ihre Absolventen doch für die heutige Berufspraxis ausgebildet. Teilweise gibt es Überschneidungen zu anderen Fächern, die sich mit den gleichen Themen befassen: Auch Historiker betreiben Rechts-, Kirchen- und Technikgeschichte. Archäologen lernen alte Handwerkstechniken, um die Herstellung ihrer Funde zu rekonstruieren, und ziehen Biologen und Anthropologen hinzu, um Knochenfunde auzuwerten.

© 11. Februar 2006 Karen Thöle