Sabine Felgenhauer-Schmiedt:
Die Sachkultur des Mittelalters im Lichte der archäologischen Funde
Frankfurt am Main u.a. 1993
Reihe: Europäische Hochschulschriften, Reihe 38: Archäologie, Bd. 42
ISBN: 3-631-45527-5
Ein Schatz - ja, aber auch schade drum.
Eigentlich bin ich aus ganz anderen Gründen auf das Buch gestoßen, ich wollte einer Fußnote nachgehen. Und da fiel es mir in die Hände, ein Buch über Mittelalter-Archäologie, das sich vor allem an Nichtarchäologen wendet. Es soll einen Überblick über die Arbeitsweisen der Archäologie des Mittelalters, die Forschungslage bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sowie die Möglichkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit geben.
Diesen Anspruch löst das Buch ein. Zwar wird der Bastler vergeblich nach den vielen schönen Bildern und detailreichen Beschreibungen von Fundgegenständen suchen, die man von den meisten anderen archäologischen Veröffentlichungen kennt. Das Buch hat insgesamt nur 37 Abbildungen, und die meisten davon sind Verbreitungskarten verschiedener Fundtypen. Jedoch stellt das Buch quasi einen Schlüssel dar, mit dem Literatur zu allen möglichen Themen aufgefunden werden kann.
Zum Aufbau:
Zunächst gibt Felgenhauer-Schmiedt einen Überblick über die Forschungsgeschichte. Sie beschreibt im Anschluß daran die Arbeitsweisen der Archäologie, Ausgrabungen und Auswertung des Fundmaterials, aber auch Methoden wie Dendrochronologie und verschiedene naturwissenschaftliche Untersuchungen. Dann faßt sie die bisherigen Ergebnisse der Mittelalter-Archäologie zusammen, zunächst geordnet nach Materialien, also Ton, Glas, verschiedene Metalle, Holz und Knochen, dann nach Funktionszusammenhängen - Wohnung, Ernährung, Kleidung, Arbeiten, Reiten und Kämpfen, Jagen, Lesen und Schreiben, Spielen, Glaube.
Dabei schildert sie einerseits die allgemeinen Entwicklungen innerhalb der jeweiligen Kategorie, beschreibt typische oder spezielle Formen, auch unterschiedlicher Regionen, und gibt die entsprechende Sekundärliteratur an. Andererseits weist sie auch darauf hin, an welchen Stellen es interessant wird für die anderen Fächer, die sich ebenfalls mit dem Mittelalter beschäftigen - etwa, wo sich anhand archäologischer Funde für den Historiker Handelswege oder standestypische Unterschiede nachvollziehen lassen, oder welche Gefäße etwa für den Kunsthistoriker interessant sein dürften. Unter den untersuchten Gebieten gibt es neben dem deutschen und österreichischen Raum überraschenderweise auch noch einen Schwerpunkt in Ungarn, daneben zieht Felgenhauer-Schmiedt aber gelegentlich auch Ergebnisse aus England, Skandinavien, Westeuropa und verschiedenen slawischen Siedlungsgebieten heran.
Wer endlich einmal einen allgemeinen Überblick haben will, wie sich bestimmte Gerätschaften entwickelten, wie sie sich regional unterscheiden oder in welchen sozialen Kontext sie gehören, sollte hier suchen. Die Lektüre dieses Buches bewahrt einen vor dem Fehler, das, was man anhand eines einzelnen Ausgrabungsberichtes herausgefunden hat, für andere Zeiten und Regionen zu verabsolutieren.
Die Literaturangaben zu praktisch jedem Thema machen das Buch zum Nachschlagewerk für diejenigen, die nach Grabungsberichten zu ganz speziellen Themen suchen. Unter den jeweiligen Kategorien findet sich bestimmt ein geeignetes Buch, ein geeigneter Artikel. Und zwar auch die, an denen man bei einer Suche im Bibliothekskatalog vorbeigehen würde, weil sie entweder einen sehr unspezifischen Titel haben oder als Teil eines Sammelbandes oder einer Zeitschrift erschienen sind.
Aber genau hier liegt der Haken an der Sache.
Das Buch wendet sich an dezidiert an Menschen aus anderen Fachrichtungen, die die Ergebnisse der Mittelalter-Archäologie nutzen möchten, die aber naturgemäß nicht über die gleichen Erfahrungen in der Suche nach Literatur aus diesem Bereich haben wie ein Absolvent dieser Fachrichtung. Für diese Leser hätte es sich angeboten, wenn Felgenhauer-Schmiedt das Literaturverzeichnis besonders sorgsam behandelt und eventuell sogar nach den einzelnen Kategorien geordnet angelegt hätte.
Stattdessen enthält das Literaturverzeichnis nur einen Teil der zitierten Titel. Die anderen stehen in den Fußnoten unter dem Text, und ob die Literaturangaben dort vollständig sind oder man sich einen Teil der Angaben aus einer anderen Fußnote holen muß, scheint eher zufällig zu sein. Daß die Autorin bei Artikeln in den meisten Fällen keine vollständigen Angaben über die die Seitenzahlen macht, sondern nur beispielsweise "S. 137ff." schreibt, ist vor allem dann ärgerlich, wenn man einen Zeitschriftenartikel nur als Kopierbestellung bekommen kann. Bei Titelbestandteilen ist oft nicht deutlich, ob es sich um einen Untertitel handelt oder um den Titel eines Sammelbandes. Vollends skeptisch macht einen dann die folgende Literaturangabe: "P. SCHMIDT-THOME, Hölzernes Alltagsgeschirr und Spiele aus einer mittelalterlichen Abfallgrube in Freiburg: Der Keltenfürst von Hochdorf, Stuttgart 1985", dabei handelt es sich um Fußnote 1033 auf Seite 226, sie bezieht sich auf den Fund eines nach 1270 entstandenen Backgammon-Spielbrettes.
Gut, das sind Formalien, und es gibt wohl kein Buch, in dem nicht der eine oder andere kleine Fehler vorkommt. Und man muß auch bedenken, daß 1993, als das Buch entstand, noch nicht fast jeder einen eigenen Computer hatte und deshalb die Ansprüche an Layout und Formales noch nicht so hoch waren wie heute. Andererseits ist dieses Buch nicht die erste Publikation der Autorin, und ein extremer Zeitdruck wie etwa bei einer Abschlußarbeit scheint auch nicht geherrscht zu haben, immerhin erfolgte die Habilitation der Autorin bereits vier Jahre vor Drucklegung dieses Buches. Zeit für einen weiteren Korrekturdurchgang zur Vereinheitlichung der Literaturangaben müßte also gewesen sein, und er hätte die Benutzbarkeit des Buches klar gesteigert.
Das mindert nicht den wissenschaftlichen Wert des Buches und die Leistung der Autorin, die für dieses Werk Literatur zu den unterschiedlichsten Regionen, Zeiten und Materialgruppen gesichtet hat. Es ist aber eine Chance, die vertan wurde. Allerdings kann ich das Buch zwar leider nicht als Standardwerk empfehlen, jedoch immerhin als "Geheimtip".
© 30. November 2005 Karen Thöle