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Rezension August 2006:

Geoff Egan, Francis Pritchard:
Dress Accessories c. 1150 - c. 1450
Reihe: Medieval Finds from Excavations in London 3
London 1991

Unbedingt empfehlenswert

Das Buch "Dress accessories" soll hier stellvertretend für die ganze Reihe "Medieval Finds from Excavations in London" besprochen werden. In den 1970er und frühen 1980er Jahren hatte in London eine Reihe von Ausgrabungen stattgefunden. Das überaus reichliche Fundmaterial präsentierten die Archäologen nicht nach Materialgruppen, wie es normalerweise geschieht, sondern nach der Nutzung.

So enthält etwa Band 1, "Knives and Scabbards", nicht nur die eisernen Messer und Scheren, sondern auch die ledernen Messerscheiden. Band 2, "Shoes and Pattens", präsentiert Schuhe und Trippen. Band 4, "Textiles and Clothing", ergänzt die Informationen über Stoffe und Nähtechniken, die sich aus den gefundenen Textilresten ziehen lassen, mit Hinweisen über erhaltene ganze Kleidungsstücke aus anderen Teilen Europas. Band 5, "The Medieval Horse and its Equipment", bespricht Funde rund um das mittelalterliche Pferd. Band 6, "The Medieval Household: Daily Living", untersucht Baumaterial, Möbel, Küchenzubehör, aber auch Spielzeug und andere Kleinfunde, die thematisch keinem der anderen Bücher zugeordnet werden können. In Band 7, "Pilgrim Souvenirs and Secular Badges", sind vor allem Pilgerzeichen, aber auch figürliche Broschen und andere Abzeichen zu sehen.

Prinzip der Reihe ist es, alles, was zusammengehört, auch zusammen zu präsentieren. Bei anderen archäologischen Publikationen werden oft ein erläuternder Textteil, ein Katalogteil und ein Abbildungsteil voneinader getrennt, oft sogar auf mehrere Bände verteilt. Hier jedoch befinden sich der Katalogeintrag zu einem Fund und seine Abbildung oftmals sogar auf der gleichen oder zumindest der gegenüberliegenden Seite, und ein kurzer erläuternder Text zur jeweiligen Fundkategorie steht nur wenige Seiten vorher.

Gewöhnungsbedürftig ist allerdings zunächst die Datierung nach Keramikphasen. Die unterschiedlichen Formen und Farben der Keramik werden in der Archäologie dazu genutzt, andere Funde zu datieren. Die Londoner Archäologen unterscheiden für ihr Fundmaterial die Keramikphasen 6-12, die auf Seite 3 definiert und datiert werden; im Katalog werden dann nur noch die Keramikphasen genannt. Wer jedoch gezielt nach Funden einer bestimmten Zeit sucht, wird sich leicht daran gewöhnen und kann dann in fast allen Bänden der Reihe nach "seiner" Keramikphase Ausschau halten.

Dementsprechend geht auch Band 3, "Dress Accessories", vor. Er enthält Gürtel, Gürtelschnallen und -beschläge, Fürspane, Knöpfe, Nestelhülsen, Haarschmuck (darunter auch einen falschen Zopf) und Haarnadeln, Perlen, Anhänger, Fingerringe, Schellen, Taschen, Spiegel, Kämme und Nadeldöschen, eine bunte Mischung von Gegenständen aus den unterschiedlichsten Materialien, die nur eines gemeinsam haben: Sie werden am Körper, an der Kleidung getragen und dienen meist dem modischen Aussehen. Der Katalog ist eng mit den Abbildungen verflochten, und zwar mit Abbildungen sowohl der Funde als auch von Malereien oder Skulpturen, die zeigen, wie diese Gegenstände getragen wurden. Im Vergleich zu anderen Bänden der Reihe gibt es hier nur wenige übergeordnete Artikel; dies liegt aber wohl daran, daß hier sehr viele Funde zu bearbeiten waren.

"Dress Accessories" ist - wie auch die anderen Bände der Reihe - für Anfänger im Living-history-Bereich voll und ganz zu empfehlen. Die Gliederung der Reihe und auch der Bände nach der Nutzung der Funde macht es leicht, für das, was man braucht, die passende Vorlage zu finden, und die Durchdringung von Fundbeschreibungen und Abbildungen macht auch den kryptischsten Katalog lesbar. Aber gerade "Dress Accessories" ist vielleicht zusätzlich auch deshalb das ideale Einsteiger-Buch, weil es genau die Dinge enthält, die man neben der Kleidung als erstes braucht.

Daß es ein englisches Buch ist, sollte nicht abschrecken. Nicht die englische Sprache; durch die vielen Abbildungen sind viele Begriffe selbsterklärend, und was man dann immer noch nicht versteht, kann man schließlich nachschlagen. Und auch die Moden unterschieden sich zwischen London und dem Kontinent nicht so auffällig; vieles von dem, was man hier aus London kennenlernt, findet man in Publikationen zu Ausgrabungen in Deutschland wieder. Und wer mit der Hilfe dieses Buches erst einmal archäologische Fachliteratur kennengelernt hat, der wird auch mit anderen Büchern umgehen können, die sich mit Ausgrabungen beschäftigen, die näher an seiner gewählten Region liegen.

Fazit:

Ein Stück Fachliteratur, so verständlich aufgebaut, daß sich meiner Meinung nach auch andere archäologische Veröffentlichungen ein Beispiel daran nehmen sollten. "Dress Accessories" zeigt auf beeindruckende Weise, daß auch Living-history-Einsteiger nicht auf Spekulationen angewiesen sein müssen, wenn sie mittelalterliches Kleidungszubehör rekonstruieren wollen.

© 27. Juli 2006 Karen Thöle