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Abb. 1: Die Essener Äbtissin Mathilda. Email-Darstellung auf einem VortragekreuzKanonissen

Kanonissen lebten ähnlich wie Nonnen. In manchen Dingen hatten sie jedoch größere Freiheiten: Sie durften eigenes Eigentum und Bedienstete haben. Auch die Vorschriften, welche Kleider sie tragen sollten, waren von Ort zu Ort unterschiedlich. Doch auch sie lebten in Klöstern, und ihre Hauptaufgabe war es, die Stundengebete zu singen.

Die institutio sanctimonialium

Ludwig der Fromme, der Sohn Karls des Großen, hatte die Synode in Aachen einberufen, die im Jahre 816 auch Stellung zu religiösen Gemeinschaften von Frauen nahm. Neben der Benediktinerinnenklöstern gab es zu dieser Zeit im Frankenreich eine große Zahl von Frauenklöstern mit sehr unterschiedlichen Regeln. Nun sollte allein die Benediktsregel verbindlich werden. An alle Frauenklöster, die sich dieser Regel nicht unterwerfen wollten, richtete sich die Aachener institutio. Sie stellt sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner dar.

Das Vorbild der Benediktsregel ist überall in der institutio spürbar, doch werden an manchen Stellen - wenn auch quasi zähneknirschend - Ausnahmen zugelassen.

Abgrenzung zwischen Kloster und Stift?

Besonders im Herzogtum Sachsen sind im Früh- und Hochmittelalter zahlreiche Kanonissenklöster gegründet worden. Einige von ihnen wurden durch ihre Nähe zum Hochadel bedeutend, etwa Gandersheim, Quedlinburg oder Herford. In der entsprechend guten Quellenlage wird der Unterschied zu einem typischen Benediktinerinnenkloster deutlich.

Bei anderen Klöstern ist es oft schwierig zu unterscheiden, ob es sich um ein Nonnenkloster oder Kanonissenstift handelt. Die gängigste Bezeichnung für die Klosterfrauen in den Quellen ist sanctimoniales, und damit können sowohl Nonnen als auch Kanonissen bezeichnet werden. Auch claustrum, das Kloster, ist bei beiden Lebensformen ein gängiger Begriff. Die eigene Zelle wird im Verlauf des Mittelalters auch in den "normalen" Orden zur Selbstverständlichkeit. Die stabilitas loci, die Anwesenheitspflicht im Kloster, durchbrechen Äbtissinnen sowohl von Nonnenklöstern als auch von Kanonissenstiften: Hildegard von Bingen, Äbtissin eines Benediktinerinnenklosters, besucht zahlreiche Orte, um dort zu predigen. Äbtissinnen von Gandersheim und Quedlinburg, die Töchter der deutschen Kaiser sind, verbringen viel Zeit bei ihren Eltern.

Möglicherweise war es auch vielen mittelalterlichen Zeitgenossen nicht klar und vielleicht auch gar nicht wichtig, ob ein bestimmtes Kloster nun einem Orden angehörte oder nicht. Der heutige Forscher jedenfalls kann es häufig nur dann entscheiden, wenn ein Kloster sich tatsächlich selbt etwa als claustrum ordinis sancti Benedicti bezeichnete. Und selbst dann bedeutete es möglicherweise nur, daß die Stiftsfrauen einzelne Elemente der Regel übernommen hatten.

Reformen und gewaltsame Veränderungen

Abb. 2: Der heilige Benedikt überreicht die Benedikt-Regel an die Äbtissin des Klosters Niedermünster. Konventsbuch der Äbtissin EilikaDiese fehlende Eindeutigkeit konnte für die Kanonissen jedoch auch zum Problem werden. Wurde ein Kanonissenstift von den Zeitgenossen als Benediktinerinnenkloster angesehen, dann galten auf einmal alle Freiheiten, die das Stift schon von Anfang an praktizierte, als Übertretung der Regel.

So versuchten immer wieder Bischöfe, Reformen durchzuführen. Manchmal gelang es ihnen. Dann wurde im Stift die Benediktsregel bzw. die eines der "neueren" Orden eingeführt. Manchmal wurde ein Stift auch aufgehoben und die Insassinnen durch Mönche eines neugegründeten Mönchsklosters ersetzt.

Manchmal gelang es auch nicht. Dann kehrten nach einigen Jahren die Frauen zu den alten Lebensformen zurück. Oder sie jagten die Reformer gleich mit Gewalt davon - wie 1470 im Kloster Obermünster bei Regensburg. Hier gelang es den Stiftsdamen, den Bischof und seine Begleiter in verschiedene Zimmer zu sperren, und zu verhindern, daß der Klosterschatz beschlagnahmt wurde. Einige Jahre später eskalierte der Streit weiter: Das Stift hatte Anna von Seckendorff, die sich gegen die Annahme der Benediktregel ausgesprochen hatte, zur Äbtissin gewählt. Der Bischof wollte jedoch diese Wahl nicht anerkennen. Daraufhin floh die Gewählte zu ihrem Bruder, der dem Bischof die Fehde erklärte (siehe dazu Märtl: pos verstockt weyber).

Nicht immer freilich mußten wohl die Reformer Zwang anwenden. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Klosters - zumal eines kleineren - waren von der Spendenfreudigkeit der Gläubigen abhängig. Hauptsorge der Spender war das Totengedenken. Zum Ausgleich für im Leben begangenes Unrecht sollten Mönche oder Nonnen für das Seelenheil eines Verstorbenen beten und Priester Messen lesen. Hierfür dienten die frommen Stiftungen an Kirchen und Klöster. Wer solche stellvertretenden Leistungen ausführen sollte, mußte dafür aber auch geeignet sein. Wer selbst sündigte, galt als wenig geeignet. Es lag also im eigenen Interesse von Mönchen und Nonnen wie auch von Kanonissen, Reformen durchzuführen, um offensichtliche Mißstände zu beseitigen.

Dies alles führte dazu, daß am Ausgang des Mittelalters nur noch wenige Kanonissenstifte exisierten. Die anderen waren zu Klöstern der verschiedenen Orden geworden, viele hatten auch die Augustinerchorfrauen-Regel angenommen.


Abb. 3: Die Malgartener KlosterkircheEin Beispiel: Das Kloster Malgarten

Das Kloster Malgarten in der Nähe von Bramsche bei Osnabrück ist eines der Kanonissenstifte, das im Laufe des Mittelalters seine ursprüngliche Lebensform aufgeben mußte und in ein Benediktinerinnenkloster umgewandelt wurde. Viele Urkunden des Klosters sind verlorengegangen bzw. verbrannt. Dennoch kann man seine Geschichte weitgehend rekonstruieren.

Im Jahre 1175 gründete Simon von Tecklenburg in Essen bei Quakenbrück ein Kanonissenstift. Nachdem die Gebäude dort im Jahre 1194 durch einen Brand unbewohnbar wurden, zogen die Kanonissen ins nahegelegene Malgarten um, wo die Grafen von Tecklenburg ebenfalls Besitzungen hatten. Über Reformen in der ersten Zeit seiner Existenz ist nichts bekannt, jedoch wird das Kloster zweimal, in den Jahren 1299 und 1306, als ordinis sancti Benedicti bezeichnet. Erst 1323 benutzt eine vom Kloster selbst ausgestellte Urkunde selbst diesen Zusatz.

Abb. 4: Blick auf die Überreste des Malgartener KreuzgangesSpätestens im 15. Jahrhundert ist Malgarten aber ein Benediktinerinnenkloster gewesen. Bischof Konrad von Osnabrück wollte auch in diesem Kloster die Bursfelder Reform einführen. Die 1472 von ihm eingesetzte Priorin, Mette Budde aus dem bereits reformierten Herzebrock, scheint nicht viel Erfolg gehabt zu haben. Sie trat nach 14 Jahren zurück. Ihre Nachfolgerin, Katharina von Roden aus dem Osnabrücker Gertudenberg, ebenfalls einem reformierten Kloster, führte jedoch den Reformkurs weiter.

Im 16. Jahrhundert schaffte es das Kloster, inmitten einer lutherisch gewordenen Umgebung als katholisches Kloster weiterzubestehen. Erst 1803, im Zuge der Säkularisation, wurde es aufgelöst.

Über die Herkunft der Insassinnen in der Frühzeit des Klosters ist nichts bekannt, doch wird man so prominente Mitglieder wie in den königsnahen Stiften Gandersheim und Quedlinburg nicht vermuten dürfen. Die früheste Liste der Insassinnen stammt aus dem Jahr 1402. Danach kamen die Frauen etwa zur Hälfte aus dem Osnabrücker Patriziat und dem Landadel der Region. Schuler nimmt jedoch an, daß im 12. und 13. Jahrhundert die Kanonissen Töchter des Hochadels und von Ministerialen gewesen seien.


Kleidung

Abb. 5: Nonnen des Stiftes Niedermünster empfangen die Regel des Caesarius von ArlesIm Spätmittelalter lassen sich die zahlreichen Orden an der Farbe ihres Habit unterscheiden. Benediktiner tragen Schwarz, Franziskaner grau oder braun, und Dominikaner weiß mit einem schwazen Skapulier. Die gleichen Farben findet man auch im Habit der entsprechenden Frauenklöster.

Welche Kleidung trugen die Kanonissen? Das läßt sich nicht generell beantworten. Hier wurde nicht eine Regel überregional angewandt, sondern jedes Stift hatte seine eigenen Gewohnheiten, zum Teil auch eigene Privilegien. Man muß also damit rechnen, daß in jedem Kanonissenstift auch die Kleiderfrage anders beantwortet wurde.

Gibt es denn wenigstens Trends? Welche Farben, welche Materialien waren am häufigsten?

Diese Frage läßt sich kaum beantworten. Die institutio sanctimonialium hatte noch Schwarz als Kleiderfarbe gefordert. Da dort überall die Orientierung an der Benediktsregel deutlich wird, handelt es sich hier sicher nicht um teuren, gefärbten Stoff, sondern um möglichst einfachen ungefärbten Wollstoff von schwarzen Schafen.

Schriftquellen aus späteren Zeiten nennen jedoch auch gefärbte Stoffe und Seidenstoffe, so beispielsweise Urkunden zu den Klöstern Thorn und St. Maria im Kapitol in Köln. Jacob von Vitry kritisiert am Beginn des 13. Jahrhunderts die übermäßig kostbare Kleidung der Kanonissen (siehe dazu Schäfer, Kanonissenstifter S. 229 und 232). Abbildungen zeigen Kanonissen in gelben oder grünen Kleidern, deren gezeichnete Musterung sogar an teure importierte Seidenstoffe mit eingewebten Mustern denken läßt.

Abb. 6: Kanonissen, abgebildet im Necrolog des Stiftes ObermünsterEs gibt aber auch andere Beispiele: Bilder von Kanonissen in bräunlichen oder dunkelgrauen Kleidern und Schleiern, in Farben, wie sie auch zeitgleich bei der Darstellung von Benediktinern und Benediktinerinnen verwendet werden (siehe Abb. 6). Bilder von Äbtissinnen in dunkelblauen Kleidern, die an die zur gleichen Zeit gemalten Bilder der Benediktinerin Hildegard von Bingen erinnern. In diesem Zusammenhang sei an eine Methode des Mittelalters erinnert, Stoffe schwarz zu bekommen: Diese färbte man zuerst mit Waid blau und überfärbte sie dann mit anderen Materialen.


Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Otto-Mathilden-Kreuz aus Essen. Entstanden nach 982. Das mit Gold, Juwelen und Email-Arbeiten verzierte Vortragekreuz enthält an einem unteren Teil eine Darstellung der Essener Äbtissin Mathilde (hier abgebildet) und ihres Bruders, Herzog Otto von Schwaben und Bayern. Abbildung entnommen aus: Ausstellungskatalog "Krone und Schleier" S. 273.

Abb. 2: Konventsbuch aus dem Stift Niedermünster, Regensburg, fol. 67v. Entstanden ca. 1025-1044 im Auftrag der Äbtissin Eilika. Das Stift hatte in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts zunächst die Benediktregel nicht annehmen wollen. Bischof Wolfgang von Regensburg, der von 972-994 amtierte, konnte sich schließlich doch durchsetzen, wenn auch nicht dauerhaft. Abbildung entnommen aus: Ausstellungskatalog "Krone und Schleier" S. 189

Abb. 3: Kloster Malgarten bei Osnabrück. Blick auf die Klosterkirche. (© Karen Thöle)

Abb. 4: Kloster Malgarten bei Osnabrück. Blick auf den Rest des Kreuzganges. (© Karen Thöle)

Abb. 5: Regelbuch aus dem Stift Niedermünster, Regensburg, fol. 65. Entstanden ca. 990. Um diese Zeit nahm das Frauenstift Niedermünster für kurze Zeit die Regel des Caesarius von Arles (Amtszeit 502-542) an. Das Bild zeigt den Bischof bei der Übergabe der Regel an die Nonnen. Abbildung entnommen aus: Ausstellungskatalog "Krone und Schleier" S. 187.

Abb. 6: Necrolog des Frauenstiftes Obermünster, Regensburg. Entstanden zwischen 1177 und 1183. Ein Necrolog enthält die Namen Verstorbener, für die im Kloster Fürbitte geleistet wurde. Abbildung entnommen aus: Ausstellungskatalog "Krone und Schleier" S. 25.

Zum Weiterlesen:

Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern
Ruhrlandmuseum: Die frühen Klöster und Stifte 500 - 1200;
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland: Die Zeit der Orden 1200 - 1500
München 2005
ISBN: 3-7774-2565-6

Ein wunderbares Buch und eigentlich unverzichtbar für alle, die sich mit mittelalterlichen Frauenklöstern beschäftigen. Auch wenn Kanonissen nur zum Teil zum umfangreichen Ausstellungmaterial beigetragen haben, wird sich ihr Leben in vielen Aspekten nicht von dem der Ordensfrauen unterschieden haben.

Amalie Fößel/Anette Hettiger (Hrsg.):
Klosterfrauen, Beginen, Ketzerinnen. Religiöse Lebensformen von Frauen im Mittelalter
Reihe: Historisches Seminar Bd. 12
Idstein 2000
ISBN: 3-8248-0032-2

Das Buch stellt in verständlicher und gut lesbarer Weise die unterschiedlichen weiblichen religiösen Lebensformen im Mittelalter vor, darunter auf den Seiten 22-32 auch die der Kanonissen. Ergänzt wird die Darstellung durch den Abdruck von Quellen - ein Auszug aus der institutio sanctimonialium, Quellen zur Geschichte des Stiftes Gandersheim, Konzilsentscheidungen zur Stellung der Kanonissen und die schon angesprochene Kritik des Jacob von Vitry. Diese Texte sind zwar meist nur Auszüge, aber sowohl in Latein als auch in Deutsch wiedergegeben und dadurch leicht zu benutzen.

Karl Heinrich Schäfer:
Die Kanonissenstifter im deutschen Mittelalter. Ihre Entwicklung und innere Einrichtung im Zusammenhang mit dem altchristlichen Sanktimonialentum
Stuttgart 1907

Das Buch ist mittlerweile fast 100 Jahre alt und in vielen Teilen durch die neuere Forschung überholt. Als Quellensammlung ist es jedoch nach wie vor zu gebrauchen. Vor allem zur Kleidung der Kanonissen finden sich hier Hinweise.

Ulrich Andermann:
Die unsittlichen und disziplinlosen Kanonissen. Ein Topos und seine Hintergründe, aufgezeigt am Beispiel sächsischer Frauenstifte (11.-13. Jahrhundert)
In: Westfälische Zeitschrift 146 (1996), S. 39-63

Claudia Märtl:
pos verstockt weyber? Der Streit um die Lebensform der Regensburger Damenstifte im ausgehenden 15. Jahrhundert
In: Regensburg, Bayern und Europa. Festschrift für Kurt Reindel zum 70. Geburtstag
Hrsg: Lothar Kolmer, Peter Segl
Regensburg 1995, S. 365-405

Die Autorin schildert die dramatischen Ereignisse der 1470er Jahre im Stift Obermünster. Dabei berücksichtigt sie die Sichtweise der Frauen, anstatt unkritisch die Argumente der Reformpartei zu übernehmen. Dazu kommt eine Auswertung des Nachlasses von drei der Stiftsdamen, der einen Einblick in die Lebensumstände dieser Frauen ermöglicht.

Thomas Schuler:
Malgarten
In: Die Frauenklöster in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen,
Hrsg: Ulrich Faust
Reihe: Germania Benedictina Bd. 11
St. Ottilien 1984, S. 403-420

Darstellung der Geschichte des Klosters Malgarten von seiner Gründung bis zu seiner Aufhebung. Der Autor geht sowohl auf die eigentliche Geschichte des Klosters als auch auf personelle, wirtschaftliche und rechtliche Aspekte ein und gibt Hinweise auf weiterführende Literatur sowie die erhaltenen Quellen.

Thomas Schuler:
Zur Gründung der Klöster in Essen (Old.) und Malgarten
In: Osnabrücker Mitteilungen 89 (1983), S. 174-183

Der Autor untersucht hier insbesondere die Gründungszeit der beiden Klöster und macht deutlich, warum das eine die Nachfolgeinstitution des anderen sein muß.

© 17. Januar Karen Thöle